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Glossar zur jüdischen Geschichte

Allgemeiner Deutscher Frauenverein (ADF) – wurde als erster deutscher Frauenverein am 18. Oktober 1865 von Louise Otto-Peters und August Schmidt in Leipzig gegründet. Seine zentrale Forderung war das Recht der Frauen auf gleiche Bildung sowie auf Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. „Der ADF war eine der größten und erfolgreichsten Selbsthilfeorganisationen von Frauen in Deutschland, deren Geschichte bislang nur in Ansätzen erforscht ist. Der Verein, der von 1865 bis 1933 existierte, gilt als ‚das Herz und in gewisser Weise auch das Gehirn‘ der deutschen Frauenbewegung“.
Noch im Jahr der Gründung entstanden zahlreiche Lokalvereine. 1877 wurde die Anzahl der Mitglieder des ADF und seiner Zweigvereine bereits auf 12.000 Frauen geschätzt.
https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/allgemeiner-deutscher-frauenverein-adf
https://www.bpb.de/apuz/285858/louise-otto-peters; https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/otto-peters-louise-geborene-otto/;
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/otto-peters-louise-geborene-otto/

Gedenk- und Erinnerungsarbeit – der Gedenk-, Erinnerungs- und Bildungsarbeit zur jüdischen Geschichte/jüdischen Leben in Leipzig/Sachsen widmen sich mehrere Leipziger Vereine und Stiftungen:
Ephraim Carlebach-Stiftung: https://www.carlebach-stiftung-leipzig.de/
Ariowitschhaus: https://ariowitschhaus.de/
Israelitische Religionsgemeine Leipzig: http://www.irg-leipzig.de/

Ghettos – im Mittelalter in mehreren Ländern Europas durch die Obrigkeit angeordnete separate Stadtviertel, in denen die jüdische Bevölkerung abgetrennt von der übrigen Bevölkerung leben musste. Im Zuge der bürgerlichen Emanzipation im 18./19. Jahrhundert wurden diese aufgelöst. Während des Nationalsozialismus wurde unter der Bezeichnung Ghetto abgegrenzte – und zudem meist abgeriegelte – Wohngebiete von den Nazis und ihren Verbündeten genutzt, um die jüdische Bevölkerung vor der Deportation zu separieren.
Heute wird der Begriff umgangssprachlich genutzt für Wohngebiete, in denen marginalisierte Bevölkerungsgruppen leben.

Goldschmidt, Henriette, geb. Benas (1825–1920) – Sozialpädagogin. Sie heiratete den Lehrer und Prediger Dr. Abraham Mei(e)r Goldschmid. 1858 wurde ihr Ehemann zum Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig berufen. In Leipzig wurde Henriette Goldschmidt mit Louise Otto-Peters, Auguste Schmidt und anderen zur Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung: 1865 gründete sich der Leipziger Frauenbildungsvereins. Von 1867 bis 1906 war sie im Vorstand des ebenfalls 1865 gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins tätig. Auf sie gehen zudem u.a. die Kindergartenbewegung und die Gründung der ersten Hochschule für Frauen 1911 in Leipzig zurück.
https://www.frauenorte-sachsen.de/die-frauen/henriette-goldschmidt/
https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/henriette-goldschmidt/
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/goldschmidt-henriette-geborene-benas/

Hochschule für Frauen – die private Hochschule für Frauen wurde 1911 in Leipzig eröffnet. Ihre Gründerin war Henriette Goldschmidt. Sie war die erste Akademie für klassische Frauenberufe im deutschen Kaiserreich und gab auch Frauen und Mädchen die Möglichkeit, eine wissenschaftlich fundierte Bildung zu erwerben. Heute ist die ehemalige Hochschule für Frauen ein berufliches Schulzentrum für Sozialwesen in Leipzig.
http://www.goldschmidtschule-leipzig.de/wp/?page_id=6

Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig
Zur Geschichte der Leipziger Israelitischen Religionsgemeinde: http://www.irg-leipzig.de/page/geschichte

Jüdischer Frauenbund (JFB) – wurde 1904 von Bertha Pappenheim und Sidonie Werner gegründet. 1913 entstand eine Leipziger Ortsgruppe des JFB als selbständiger Verein, der soziale Aufgaben übernahm, einen lokalen Dachverband der sozialen Frauenarbeit koordinierte, die jüdischen Frauenvereine im Stadtbund der Leipziger Frauenvereine vertrat und sich für die Rechte der Frauen in der Israelitischen Religionsgemeinde einsetzte.
(Rapp, Jeanett: Von Jüdin für Jüdin. Die soziale Arbeit der Leipziger Ortsgruppe des Jüdischen Frauenbundes und ihrer Mitgliedsorganisationen bis zum Ende der Weimarer Republik. Diss. Berlin 2011. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/9452/DissVE.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Bertha Pappenheim: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/bertha-pappenheim/
Jüdischer Frauenbund: http://www.berlin-judentum.de/frauen/jfb.htm

Kindertransporte – bezeichnet die begleitet und vorab engagiert vorbereitete Ausreise von über 10.000 jüdischen Kindern aus dem nationalsozialistischem Deutschland (und den von Deutschland bedrohten Ländern) zwischen November 1938 und September 1939 nach Großbritannien. Die Kinder konnten auf diese Weise vor dem Holocaust gerettet werden – die meisten sahen ihre Eltern nie wieder und waren die einzigen Überlebenden ihrer Familie.
https://www.yadvashem.org/yv/de/exhibitions/through-the-lens/kindertransport.asp

Kontingentflüchtlinge — Flüchtlinge, die in festgelegter Anzahl (Kontingent) von einem Staat aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen aus Krisengebieten aufgenommen werden, ohne dass sie einen Asylantrag stellen müssen.
Am 09.01.1991 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz des wiedervereinigten Deutschlands in Bezug auf russische jüdische Menschen: „…das “jüdischen Zuwanderer” ohne eindeutige Rechtsgrundlage in die Bundesrepublik Deutschland kommen können bzw. das auf sie das Kontingentflüchtlingsgesetz angewendet werden kann. … Der Tatbestand der Verfolgung musste nicht nachgewiesen werden. Juden aus der untergehenden Sowjetunion emigrierten nach Deutschland, ins Land des Holocaust. Einer … jüdischen Migration nach Deutschland wurde nach der Shoa ein rechtlicher Rahmen gegeben.“
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/270603/kontingentfluechtling

Leipziger Frauenbildungsverein – siehe Allgemeiner Deutscher Frauenverein

Nürnberger Gesetze – wurden im September 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP erlassen. Das „Reichsbürgergesetz“ unterschied „arische Bürger“ mit politischen Rechten und „Nichtarier“ ohne politische Rechte. Das menschenverachtende „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verbot Eheschließungen sowie sexuelle Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Personen. Das chauvinistische Delikt der „Rassenschande“ wurde neu in das Strafgesetzbuch eingeführt. Es wurden rassistische Kategorien wie „Mischling“ ersten oder zweiten Grades festgelegt.

Pogrom – russisch für Verwüstung, Zerstörung. Bezeichnet gewalttätige Aktionen, Übergriffe und Ausschreitungen gegen (ethnische, nationale, religiöse etc.) Minderheiten oder politische Gruppierungen
  • Novemberpogrome – in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 fanden in ganz Deutschland Pogrome gegen jüdische Menschen statt, deren Ziel Synagogen, Geschäfte und Privatwohnungen waren. Den Vorwand für die Ereignisse bildete das Attentat des 17-jährigen Herschel Grünspan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris am 7. November 1938 nach der vorausgegangenen “Polenaktion”. Im ganzen Deutschen Reich organisierten daraufhin SA- und NSDAP-Mitglieder Pogrome gegen jüdische Einrichtungen, misshandelten und demütigten jüdische Menschen. Feuerwehr und Polizei hatten die Anweisung nur benachbarte Häuser und „arische“ Personen zu schützen. Die Übergriffe markieren den Übergang von administrativen/legislativen Methoden zur offenen Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung.

Polenaktion
Im Oktober 1938 wurde deutschlandweit die kurzfristige Abschiebung von rund 17.000 jüdischer Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit veranlasst: die sogenannte „Polenaktion“. Die Abschiebungen erfolgten gewaltsam und unter Zwang. Die NS-Regierung sah in dieser Verordnung eine Gefährdung ihrer Pläne, ausländische jüdische Personen aus Deutschland auszuweisen und führte deshalb umfassende Zwangsausweisungen durch.

In Leipzig waren davon ca. 3000 jüdische Bürger:innen betroffen, die nicht im Besitz deutscher Pässe waren und dadurch als Staatenlose bzw. polnische Staatsbürger:innen doppelt diskriminiert waren. Sie sollten per Gesetz in Massentransporten an die polnische Grenze transportiert werden.
In Leipzig begann die Gestapo am Morgen des 28. Oktober 1938 die Menschen in Sammellagern zusammenzutreiben und vom Hauptbahnhof mit Sonderzügen abzuschieben. Etwa 1.300 Menschen konnten im polnischen Konsulat noch Schutz finden.

Der Zeitzeuge Rolf Kralovitz war damals wie viele weitere Freiwillige als Helfer im Polnischen Generalkonsulat in Leipzig dabei. Kralovitz berichtete, dass die dort Untergekommen für mindestens eine Nacht beherbergt und versorgt wurden. Die Räumlichkeiten des Konsulats, welches sich damals in einer Villa im Leipziger Musikviertel befand, waren völlig überfüllt, ebenso das im Garten zusätzlich aufgestellte Zelt. Spätestens am Nachmittag des zweiten Tages wurde die angespannte und für die verängstigten Menschen nervenaufreibende Situation aufgelöst durch eine Ansprache des polnischen Generalkonsuls, in welcher er laut Rolf Kralovitz verkündete, „die Sache habe sich erledigt“.

Wie Kralovitz sich erinnert, sprach daraufhin ein neben ihm stehender Mann leise zu sich: „Nein, jetzt fängt es gerade erst an.“ Wahrscheinlich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits das polnische Außenministerium bei den deutschen Behörden protestiert, woraufhin die Polenaktion eingestellt wurde.
Viele der Leipziger Jüd:innen mit polnischer Staatsangehörigkeit, die im Konsulat Schutz gefunden hatten, konnten daraufhin in ihre Wohnungen zurückkehren. Noch heute erinnert eine Gedenktafel am ehemaligen Polnischen Generalkonsulat in Leipzig in der Wächterstr. 32 an dieses Ereignis.
Unter den während der Polenaktion Deportierten befanden sich auch Angehörige der Familie von Herszel Grynszpan/Herschel Grünspan. Er erschoss in Reaktion darauf einige Tage nach dem 28. Oktober 1938 den deutschen Botschafter in Paris. Dieses Ereignis wurde von den Nationalsozialisten für Propagandazwecke missbraucht und stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938.
Zwangsausweisungen nach Polen https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/zwangsausweisung.html

Privilegien – lat.: privilegium = Ausnahmegesetz, Vorrecht.
Privilegien sind bestimmte (Vor-)Rechte, die einer einzelnen Person oder Gruppe zugestanden werden. In Bezug auf jüdische Personen bezeichnet der Begriff die Regelung der rechtlichen Stellung der jüdischen Bevölkerung in der der christlichen Umwelt. Einige Territorialfürsten erteilten der jüdischen Bevölkerung herrschaftlichen Schutz gegen Übergriffe sowie Privilegien. Die Privilegien konnten ein Aufenthaltsrecht, Handels- und/oder Gewerbefreiheit im jeweiligen Gebiet auf begrenzte Zeit umfassen. Im Gegenzug forderten die Fürsten Sach-, Dienst- oder Geldleistungen von der jüdischen Bevölkerung.
Zur rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der jüdischen Bevölkerung im Mittelalter: https://www.sbg.ac.at/ges/people/janotta/sim/juden.html

Reichsvertretung der Juden in Deutschland – wurde am 17. September 1933 gegründet als Reaktion auf die gesellschaftliche und gesetzliche Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten. Eine Vielzahl von jüdischen Organisationen, Verbänden und Ausschüssen, die zuvor noch nebeneinander bestanden, vereinigten sich zu einer gemeinsamen jüdischen Interessenvertretung, darunter auch der Jüdische Frauenbund.
1939 wurde die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland durch die NS-Behörden in eine staatliche Zwangs-Verwaltung umgewandelt, die mit der teilweisen Fortführung der früheren jüdischen Wohlfahrtspflege und der Organisation des jüdischen Schulwesens beauftragt wurde und bis zu ihrer schrittweisen Auflösung 1943 nur die Weisungen des NS-Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) auszuführen hatte. Am 16. Juni 1943 befahl des RSHA die Auflösung aller Geschäftsstellen und ließ deren Leiter und führenden Mitarbeiter festnehmen — fast alle wurden nach Theresienstadt deportiert
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ausgrenzung/reichsvertretung/